Kommentar: Zurück zu den Wurzeln - was deutschen Autobauern heute fehlt

Deutschlands Autobauer stecken in der Identitätskrise: zu viele Modelle, zu wenig "klare Kante", teure Zukunftswetten und eine wachsende Distanz zu den Kunden. Ein Kommentar über den Profilverlust von VW, BMW, Audi, Mercedes und Porsche.

Im Handelsblatt ist derzeit ein aufschlussreicher Bericht zu lesen: Insider schildern eine spürbar gedrückte Stimmung bei Volkswagen und auch bei den Eigentümerfamilien Piëch und Porsche soll Konzernchef Oliver Blume deutlich an Vertrauen eingebüßt haben.

Gleichzeitig hört man auf Fahrveranstaltungen oder in Gesprächen mit Mitarbeitern, dass Blume, aber vor allem VW-Markenchef Thomas Schäfer innerhalb der Belegschaft weiterhin großen Rückhalt genießen. Doch ein Blick auf die jüngsten Produkte, vor allem von Audi und Porsche, nährt Zweifel daran, ob die strategische Ausrichtung des Konzerns langfristig überzeugt.

 Mit der neuen Geländewagenmarke "Scout" hofft Volkswagen auf neue Marktanteile in den USA. Mit der neuen Geländewagenmarke "Scout" hofft Volkswagen auf neue Marktanteile in den USA.

Volkswagen tanzt auf zu vielen Hochzeiten

Viele Modelle, zahlreiche Nischen, immer neue Betätigungsfelder - Volkswagen und seine Töchter wirken getrieben von der eigenen Vielfalt. Parallel fließen enorme Investitionen in Batterietechnik (PowerCo), Software (Cariad), in das Joint Venture mit Rivian sowie in den Aufbau der neuen US-Marke Scout (Geländewagen). Solche Projekte sind zweifellos wichtig für die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens, bergen jedoch das Risiko, den Fokus vom Kerngeschäft abzulenken. Denn Batterien und Software lassen sich zukaufen - eine authentische Markenphilosophie hingegen nicht.

Zunehmend kommen Autos auf den Markt, die es allen recht machen wollen und am Ende kaum noch ein eigenständiges Profil zeigen. Stetige Regulierung seitens der politischen Instanzen mag ihren Anteil an der Entwicklung haben, doch mangelnde Liebe zum eigenen Produkt entsteht nicht in Berlin oder Brüssel, sondern durch strategische Unschärfe in den Chefetagen.

 Die Kunden haben ihn nicht verstanden, 2026 wird der C 63 AMG mit Vierzylinder-Hybrid nach nur drei Jahren vorzeitig eingestellt. Die Kunden haben ihn nicht verstanden, 2026 wird der C 63 AMG mit Vierzylinder-Hybrid nach nur drei Jahren vorzeitig eingestellt.

BMW und Mercedes vergraulen sich ihre Kernklientel

Das gilt nicht nur für VW, Porsche oder Audi, sondern ebenso für Mercedes-Benz und BMW. Zwar halten die Münchner die Fahne der Fahrfreude noch vergleichsweise hoch, doch auch dort lässt sich eine Verwässerung der Markenidentität kaum leugnen. Ein Plug-in-Hybrid-M5 mit rund 2,5 Tonnen Leergewicht verkauft sich dank steuerlicher Vorteile zwar gar nicht schlecht, doch langfristig erreicht er jene Kunden kaum, die der Marke über Jahrzehnte die Treue gehalten haben.

Noch deutlicher zeigt sich das Dilemma bei Mercedes. Die Entscheidung, den legendären C 63 AMG als Vierzylinder-Hybrid weiterzuführen, erwies sich als weitgehend unverkäuflich. Dieser Fehler wird nun, durchaus schmerzhaft für das Management, im kommenden Jahr wieder korrigiert. Günstig war dieser Irrweg ohnehin nicht.

Doch damit nicht genug: Die Stuttgarter entwickelten zuletzt nicht nur Produkte, die der Markt kaum verstanden hat, sondern plante zwischenzeitlich auch, jene Baureihe einzustellen, die einst tatsächlich neue Kundengruppen erschließen konnte. So sollte die A-Klasse der mehr oder weniger kompromisslosen Premiumstrategie geopfert werden. Auch dieser Kurs muss nun – abermals mit erheblichem finanziellen Aufwand – revidiert werden.

 Der neue Cayenne Electric ist das bisher schwerste Serienauto, das Porsche auf den Markt bringt. Der neue Cayenne Electric ist das bisher schwerste Serienauto, das Porsche auf den Markt bringt.

China wartet schon

Die Kluft zwischen dem, was Kunden erwarten, und dem, was Hersteller für marktfähig halten, wächst. Eine Gleichteilepolitik, die in Beliebigkeit mündet, ein spürbar reduziertes Qualitätsverständnis und gleichzeitig Preise, die viele Käufer überfordern, könnten die Marktanteile deutscher Hersteller weiter erodieren lassen.

Dabei bleibt den deutschen Herstellern eigentlich nur eines, das ihnen niemand nehmen kann: ihre gewachsene Geschichte. Doch ausgerechnet diese wird derzeit ideologisch verwässert und damit jener Kern beschädigt, der über Jahrzehnte hinweg Vertrauen, Begehrlichkeit und Loyalität geschaffen hat. Und zwar weltweit.

Chinesische Autobauer wie BYD oder MG gehen einen völlig anderen Weg. Sie wissen, dass sie über Historie und Emotionen kaum gewinnen können. Sie setzen deshalb konsequent auf nüchterne, funktionale Produkte. Sie liefern schlicht das, was zur Fortbewegung nötig ist: solide Technik, hohe Alltagstauglichkeit, schnelle Modellzyklen. Allerdings befreit vom mahnenden Zeigefinger. Man könnte auch von gelebter Technologieoffenheit sprechen. Fernost würde uns heute sogar wieder mit Dampfmaschinen beliefern, wenn sie gefragt wären. Und das zu Preisen, die für viele Käufer deutlich attraktiver sind als das, was deutsche Hersteller inzwischen aufrufen.

Der Blick zurück kann für Orientierung sorgen

Ein nostalgischer Blick zurück hilft selten für die Zukunft. Doch das Bewusstsein für die eigene Heritage zu schärfen, könnte besonders in schwierigen Zeiten für Orientierung sorgen. Auch und besonders für den Endkunden. Denn eigentlich spielt es heutzutage kaum mehr eine Rolle, ob man in einem Mercedes, Audi oder BMW sitzt - die Charakterzüge dieser Marken sind zunehmend fließend.

Und dass Porsche glaubt, seine Markenidentität ausgerechnet mit einem 2,7-Tonnen-SUV schärfen zu können, unterstreicht nur umso mehr, wie groß die internen Herausforderungen für die deutschen Autobauer mittlerweile geworden sind. (Text: Thomas Vogelhuber | Bilder: Hersteller: Quelle: Handelsblatt)

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