
Erster Test Kia EV4 (2026): Wird der neue Korea-Stromer zum VW-Schreck?
Der Kia EV4 auf einen Blick
- Radstand von 2,82 Metern sorgt für viel Platz
- Zum Start nur Frontantrieb mit 204 PS
- Reichweiten bis zu 625 Kilometer
- Testverbrauch um 15 kWh/100 km
- Grundpreis (Deutschland) ab 37.590 Euro
Design und Konkurrenz: Kia schickt einen Pkw gegen lauter SUVs ins Rennen
Das Design ist wie immer bei Kia auffällig bis aufreizend. Jedenfalls nicht gewöhnlich und dürfte die Klientel polarisieren. Die beschwingte Eleganz eines EV6 jedenfalls tritt in der 4,43 Meter langen und nur 1,49 Meter hohen Karosserie eher in den Hintergrund. Stattdessen dominieren klare Kanten, noch betont durch das vertikale Tagfahrlicht an der Front. Die Schrägheck-Variante fällt, wie der Name schon sagt, jäh nach hinten ab, fast wie bei einem Kombi, und bildet einen knackigen Kontrast zum ebenfalls in Europa angebotenen Fastback, der um 30 Zentimeter länger ist und vom Design her eher als gewöhnungsbedürftig einzustufen ist. Das fließende Heck erinnert an den Bürzel der berühmten Comic-Familie Duck aus Entenhausen. Beim Verkauf dürfte der Fastback in Europa nur eine untergeordnete Rolle spielen. Konzipiert wurde er schließlich für den globalen Markt. Deshalb beschäftigen wir uns hauptsächlich mit dem kompakten Stromer.
Ob Schräg- oder Fließheck – beim EV 4 handelt es sich endlich mal nicht um ein SUV. Sondern um ein Passenger Car, wie man bei Kia betont. Also um einen waschechten Pkw, der im so genannten C-Segment antritt. Dort wo sich sonst VW ID.3, Skoda Elroq, Opel Astra oder auch der Peugeot E-308 tummeln. Gerade hier sind die Markt-Erwartungen sehr hoch. Der Bedarf an elektrischen Fahrzeugen soll sich Prognosen zufolge in den nächsten sechs Jahren sogar verdreifachen. Und so hat Kia über dem EV3 nun den EV4 platziert. Schon auf dem Papier will man der Konkurrenz den Schneid abkaufen. Die längste Karosserie, die höchste Reichweite (bis zu 625 Kilometer) – Bescheidenheit war gestern, jetzt blasen die Süd-Koreaner zum Angriff.
Platzangebot und Interieur: Mittlere Oberklasse trifft Hartplastik
Aber muss sich die Konkurrenz auch fürchten? Fangen wir beim Platzangebot an. Bei einem üppigen Radstand von 2,82 Metern haben die Passagiere wirklich jede Menge Raum. Vorne sowieso, hinten auch, aber mit einer kleinen Einschränkung. Die Füße passen nicht unter den Vordersitz, da ist der Akku im Unterboden zu hoch. Beim Kofferraum muss man hingegen keine Kompromisse machen. Bis zu 434 Liter passen rein, wenn die teilbare Rücksitzbank umgeklappt wird, sind es sogar 1.415 Liter. Ein Zugfahrzeug ist der EV4 nicht. Gerade mal zwischen 500 und 1.000 Kilogramm kann er je nach Batteriegröße an den Haken nehmen.
Im Cockpit lässt der EV3 grüßen. Die digitale südkoreanische Dreifaltigkeit besteht aus drei Displays in einem gebogenen Rahmen. Links das 12,3 Zoll große Kombi-Instrument, früher auch als Tacho bekannt. Daneben ein kleine, 5,3 Zoll große Bildschirm für die Klimaanlage, die auch noch mit echten Tasten bedient werden kann. Und rechts davon der ebenfalls 12,3 Zoll große Infotainment-Screen, den man immer weniger braucht, weil die KI gepowerte Sprachsteuerung mittlerweile (fast) alles übernehmen kann. Erstmalig gibt es bei Kia in dieser Fahrzeugklasse auch eine Head-up-Projektion auf der Windschutzscheibe. Grafisch simpel – aber völlig ausreichend, um die wichtigsten Informationen wie Tempo oder Navi im Blick zu haben. Noch kurz zum Material-Eindruck: Auch wenn es jede Menge unterschäumter Flächen mit Kunstleder-Bezug gibt, das Interieur wirkt nicht überall wertig. Wir waren mit der Ausstattungsvariante „Earth“ unterwegs, die eine Stufe höher liegt als die Basis. Gestört haben wir uns zum Beispiel an dem hässlichen Hartplastik in den Armlehnen. Da hat auch die Marmor-Optik nicht helfen können.
Reichweite und Laden: Hier schlägt der EV4 sogar den VW ID.3
Hoffnungsfroh gestimmt haben uns die Reichweitenangaben. Bis zu 625 Kilometer weit tragen soll uns die größere Variante mit dem 81,4 kWh (netto) großen Akku. Zum Vergleich: Der VW ID.3 kommt auf 605 Kilometer, der Opel Astra e nur 419 km. Das Einstiegsmodell des EV4 hat eine 58,3 kWh große Batterie und will immerhin auch noch bis 440 Kilometer schaffen. Wie das tatsächlich in der Praxis aussieht, das müssen wir mit einem ausführlichen Test nachreichen. Bei unseren ersten Fahrten konnten wir zumindest sehen, dass ein Verbrauch um die 15 kWh auf 100 Kilometer auch bei sommerlichen Temperaturen mit Spitzenwerten über 30 Grad drin ist.
Das heißt 500 Kilometer Reichweite könnten beim größeren Modell realistisch sein. Beim Aufladen liegt der EV4 in etwa auf der Augenhöhe der Konkurrenz. 11 kW schafft das 400-Volt-System bei Wechselstrom, 128 respektive 102 kW (kleinere Batterie) sind es bei Gleichstrom. Macht rund eine halbe Stunde Ladezeit von 10 auf 80 Prozent. Auch hier bewegt man sich im üblichen Rahmen.
Antrieb und Fahrwerk: Wer Perfomance will, muss Geduld haben
Angetrieben wird der EV4 vorerst nur mit einem 150 kW / 204 PS starken Motor an der Vorderachse. Typischerweise hängt die Lenkung deshalb bei großer Lastanforderung so manches Mal in der Luft! Aber auch ansonsten hatten wir beim Steuern wenig Spaß, weil das Volant zu wenig Rückmeldung liefert, auch nicht auf der Stellung Sport. Beim Fahrwerk steht der Komfort im Vordergrund. Sportlich fühlt sich der EV4 eher nicht an. Dass die Abstimmung auf insgesamt 10.000 Kilometern Nürburgring Nordschleife erfolgt sein soll, haben wir jedenfalls nicht bemerkt.
Die Motorleistung ist mit 7,7 Sekunden von 0 auf Tempo 100 und einem Drehmoment von 283 Nm recht ordentlich, wenn auch nicht überbordend. Das kommt dann spätestens, wenn Kia die versprochene Allrad-Variante mit zwei Elektro-Maschinen und wahlweise 265 oder 292 PS nachreicht. Und außerdem soll es ja auch noch einen EV4 GT analog zum EV6 GT geben.
Erstes Fazit
Der Einstandspreis von 37.590 Euro für die nur mit einem 58,3 kWh großen Akku ausgestattete „Air“-Variante ist ambitioniert - für eine rein theoretische Reichweite von 440 Kilometern. Die größere und sinnvollere Batterie schlägt dann schon mit stattlichen Mehrkosten in Höhe von knapp 6.000 Euro zu Buche. Will man den EV4 GT-Line haben, der wirklich ziemlich gut aussieht, muss man schon mit knapp 50.000 Euro rechnen. Dafür bekommt man dann einen schön gezeichneten, futuristisch anmutenden Stromer mit viel Platz, der auch weite Strecken schafft. Die Ladeleistung bleibt überschaubar, der Fahrkomfort ist gut. Sportliche Fahrer müssen sich allerdings noch gedulden bis die leistungsstärkeren Varianten mit einem hoffentlich knackigeren Fahrwerk kommen. (Text: Rudolf Bögel | Bilder: Hersteller)